Reha vor Pflege

Medizinische Rehabilitation versorgt Menschen mit chronischen Krankheiten mit dem Ziel, deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Mit Rehabilitation kann Pflege verschoben oder verhindert werden. Dennoch findet Rehabilitation vor Pflege nicht statt, wie man der folgenden Grafik entnehmen kann. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt weiter stark an und die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stagnieren im gleichen Zeitraum.

Während die Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) seit 1995 um 109 Prozent gestiegen sind, lagen die Ausgaben für medizinische Rehabilitationsleistungen im gleichen Zeitraum lediglich um 16 Prozent höher. Dementsprechend ist der Anteil der Ausgaben für Rehabilitation an den Gesamtausgaben der GKV von lediglich 1,9 Prozent (1995) auf 1,0 Prozent (2017) gesunken.

Die Zahlen verwundern vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Versicherten in dieser Zeit älter, kränker und pflegebedürftiger geworden sind. Allein aufgrund der demografischen Entwicklung (Altern der Bevölkerung, Zunahme chronischer Krankheiten) ist der Bedarf an medizinischer Rehabilitation gestiegen. Zu 80 Prozent werden medizinische Rehabilitationsleistungen der GKV von Versicherten im Alter von 65 Jahren und älter in Anspruch genommen. Seit 1995 wächst der Anteil der Menschen in dieser Altersgruppe und ihre Morbidität nimmt seit Jahren stetig zu.

Stattdessen sinken die Leistungsfälle: Der Anteil der Rehabilitationsleistungen, die aus der ambulanten Versorgung heraus eingeleitet wurden (Heilverfahren), hat sich seit 1995 mehr als halbiert (1995 = 42 Prozent, 2017 = 18 Prozent). Der Anteil der Rehabilitationsleistungen, die unmittelbar an eine stationäre Krankenhausbehandlung anschließen und von Krankenhausärzten initiiert werden (Anschlussrehabilitation / AHB) ist entsprechend gestiegen. Patienten erhalten eine Rehabilitationsleistung demnach heute fast ausschließlich erst nach einer Krankenhausbehandlung und nicht vorher, um damit Operationen, Krankenhausbehandlungen oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. So reduziert sich das Versorgungsangebot für chronisch kranke Menschen offensichtlich auf medikamentöse Schmerztherapie und Operationen. Dabei besteht in der Rehabilitation laut Prognos (2009) ein Verhältnis von 1:5 zwischen Mitteleinsatz und volkswirtschaftlichem
Nettoeffekt. Die Ursache für den Rückgang der Rehabilitationsleistungen und insbesondere der Heilverfahren liegt nicht im geringer werdenden medizinischen Versorgungsbedarf, sondern in einem nicht bedarfsgerechten Verordnungs- und Bewilligungsverfahren und dem Wettbewerb der Krankenkassen untereinander. Krankenkassen profitieren insbesondere nicht von vermiedener Pflege, da pflegebedingte Ausgaben aus einem anderen Topf, nämlich dem der Gesetzlichen Pflegeversicherung, geleistet werden. Die im Jahr 2008 im SGB V eingeführte Statistik über Rehabilitationsanträge und deren Erledigung zeigt, dass im Jahr 2017 38 Prozent der Anträge auf eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die nicht im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung gestellt wurden, von den Krankenkassen abgelehnt wurden. Dass knapp 50 Prozent der eingereichten Widersprüche erfolgreich waren, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass das Bewilligungsverfahren nicht unproblematisch ist.

Anschlussrehabilitationen nach einer Krankenhausbehandlung sind von einigen Hürden, die ein Antrag auf eine medizinische Rehabilitationsleistung nehmen muss, nicht betroffen. Hier beträgt die Ablehnungsquote nur 8 Prozent.

Angesichts der Zunahme chronischer Erkrankungen muss der Zugang zu Leistungen der medizinischen Rehabilitation für die Versicherten der GKV dringend wieder aus der ambulanten ärztlichen Versorgung heraus ermöglicht werden. Dafür muss der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen eingeschränkt werden. MDK-Begutachtungen sollten nur noch nach persönlicher Untersuchung und Aushändigung des sozialmedizinischen Gutachtens erfolgen.