Verbindliche Entscheidungen der DRV

Widerstand zwecklos?

Trotz massiver Kritik der Leistungserbringerverbände gelten seit dem 1. Juli 2023 die von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) erlassenen Verbindlichen Entscheidungen für die Zulassung, die Auswahl, das Vergütungssystem und das Public Reporting von Reha-Einrichtungen. Eine Bestandsaufnahme.

Aus dem Auftrag des Gesetzgebers, unter der Beteiligung der Leistungserbringer- und Betroffenenverbände „konsensuale Regelungen“ für den Reha-Bereich zu entwickeln, ist eine behördliche Anordnung entstanden, bei der abweichende Positionen in den entscheidenden Fragen allenfalls zur Kenntnis genommen, größtenteils aber nicht berücksichtigt wurden. Das eigentliche Ziel der Verbindlichen Entscheidungen wird schon allein deshalb nicht erreicht, weil bei der DRV die Bereitschaft fehlt, auf Augenhöhe und im Konsens mit den Beteiligten zu verhandeln. Eine bedauerliche Tatsache, zumal dem Gesetzesauftrag ja gerade die Erkenntnis zugrunde lag, dass bei der Beschaffung von medizinischen Reha-Leistungen ein transparentes und nachvollziehbares Vergütungskonzept fehlt und dass die Einrichtungsauswahl durch die Rentenversicherung selektiv erfolgt. Offenheit und Beteiligung sollten also gefördert und nicht unterbunden werden.

Die Kritik der Leistungserbringer an den Verbindlichen Entscheidungen gründet sich aber nicht allein darauf, zu wenig gehört worden zu sein. Viel schwerwiegender sind die inhaltlichen Festlegungen des Regelwerks, die aus Sicht der Einrichtungen in weiten Teilen nicht akzeptiert werden können. Der BDPK hat seinen Mitgliedskliniken deshalb empfohlen, Vertragsänderungen und -abschlüssen nur unter Vor- behalt zuzustimmen.

So mussten alle Reha-Einrichtungen ihre Zulassung erneut beantragen und einen neuen von der DRV vorgegebenen Belegungsvertrag unterzeichnen, wenn sie ab dem 1. Juli weiter- hin DRV-Versicherte behandeln wollen. Dazu sollen sie laut DRV-Entscheidung ein Vergütungssystem vertraglich anerkennen, das erst ab 2026 gelten wird und dessen Ausgestaltung bis heute weitgehend unbekannt ist. Der Belegungsvertrag beinhaltet einige kritische Inhalte wie die Offenlegung der Vergütungssätze, die Belegung und das vorgehaltene Personal anderer Träger sowie die vorherige Zustimmungspflicht bei der Stellenbesetzung der Chefärzte und des Ärztlichen Direktors, ein jederzeitiges und uneingeschränktes Inspektions- und Begehungsrecht oder den Ausschluss zusätzlicher Leistungen.

Solche Vertragswerke, die darauf abzielen, eine Vertragspartei möglichst langfristig in einem unausgewogenen Vertragsverhältnis festzuhalten, bezeichnet man umgangssprachlich als Knebelvertrag und diese können rechtlich gänzlich oder in Teilen nichtig sein. Die Vorbehaltsklausel bietet den Reha-Einrichtungen Schutz vor dieser unausgewogenen Vertragsgestaltung. Für eine umfassende rechtliche Bewertung der inzwischen geltenden DRV-Regelungen hatten der BDPK und mehrere Reha-Kliniken Anfang 2023 ein Rechtsgutachten bei Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf in Auftrag gegeben. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht an der Universität Potsdam. Ihr Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der den Verbindlichen Entscheidungen zugrunde liegende § 15 SGB VI und damit die auf diese Vorschrift gestützten Regelungen wegen Verstoßes gegen das allgemeine Wettbewerbsrecht der Europäischen Union (Art. 106 Abs. 1 AEUV) unwirksam und damit unanwendbar sind.

Das Gutachten führt dazu aus, dass die DRV nicht nur hoheitliche Funktionen gegenüber ihren Versicherten wahrnimmt, sondern zugleich mit ihren eigenen Reha-Kliniken auf dem Reha-Leistungsmarkt tätig ist. Das EU-Recht, das deutsche Kartellrecht und das Verfassungsrecht fordern jedoch eine generelle Trennung von hoheitlichen Befugnissen und unternehmerischen Funktionen, da anderenfalls die gebotene Gleichbehandlung (Nichtdiskriminierung) – in diesem Fall der Reha-Einrichtungen anderer Träger mit denen der DRV – nicht gewährleistet ist. Da gegen dieses Trennungsgebot verstoßen wird, sind die Gesetzesgrundlage und die hierauf gestützten Einzelentscheidungen unwirksam und unanwendbar. Weil eine strikte organisatorische Trennung von hoheitlichen und unternehmerischen Funktionen der Rentenversicherungsträger aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist, muss die Gleichbehandlung aller Rehabilitationseinrichtungen durch eine gleichberechtigte Beteiligung der Vertragseinrichtungen an den hoheitlichen Entscheidungen sichergestellt werden. Nach diesem Konsensgebot müssen die hoheitlichen Entscheidungen einvernehmlich von den Rentenversicherungsträgern (DRV Bund und Regionalträger) und den Vertragseinrichtungen getroffen werden. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Positionen der beteiligten Verbände den DRV-Regelungen in relevanten Teilen widersprechen.

Der BDPK hatte der DRV und dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) das Rechtsgutachten im April 2023 vorgelegt und eine rechtskonforme Umsetzung gefordert. Die DRV sah jedoch keine Notwendigkeit, die vorgesehenen Entscheidungen oder das Beteiligungsverfahren zu überarbeiten. Eine offizielle „Schlussfassung“ der Verbindlichen Entscheidungen der DRV lag den Leistungserbringerverbänden bis Mitte Juni – also 14 Tage vor Inkrafttreten der Regelungen – noch nicht vor. Auch vom BMAS liegt noch keine abschließende Bewertung der Rechts- und Verfahrenslage vor. In einer schriftlichen Antwort an die Leistungserbringerverbände kündigte das Ministerium an, die Ergebnisse und ihre Umsetzung 2026 evaluieren zu wollen.