Verbindliche Entscheidungen der DRV

Erste Bewertungen aus der Praxis

Seit Juli gelten die von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) erlassenen „Verbindlichen Entscheidungen“ für die Zulassung, die Auswahl, das Vergütungssystem und das Public Reporting von Reha-Einrichtungen. Eine Umfrage zu den bisherigen Auswirkungen auf die Patientenversorgung.

Der Gesetzesauftrag war eigentlich unmissverständlich: Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) sollte mit neu formulierten Normen, den „Verbindlichen Entscheidungen“, diskriminierungsfreie, transparente und nachvollziehbare Regelungen für die Zulassung, die Klinikauswahl, das Vergütungssystem und die externe Qualitätssicherung schaffen. Erforderlich war dies aus Sicht des Gesetzgebers, weil in der Vergangenheit bei der Beschaffung von medizinischen Reha-Leistungen ein transparentes sowie nachvollziehbares Vergütungskonzept fehlte und weil die Einrichtungsauswahl durch die DRV selektiv erfolgte. Gegen die im Juli in Kraft getretene Regelung hatten die Patienten- und Leistungserbringerverbände erhebliche Kritik vorgetragen, ohne dass von der DRV nennenswerte Änderungen vorgenommen wurden. Welche Risiken und Chancen sehen die Einrichtungen nach ihren ersten Erfahrungen in den neuen Regelungen? Hierzu folgende Einschätzungen:

Markus Frenzer, CEO Nanz Medico

Die Zufriedenheit mit der ambulanten Rehabilitation haben wir über Qualität, Kommunikation und Transparenz erreicht. Unser Bestreben ist von jeher, die Leistungsfähigkeit der Rehabilitation und unsere Qualität sichtbar zu machen. Mit § 15 SGB VI wurde dies nun gesetzlich verankert. Ich sehe darin die Chance für einen echten Qualitätswettbewerb. Für uns als Leistungserbringer, um unsere Qualität sichtbar zu machen, und für Patienten, um zu beurteilen, welche Rehabilitationseinrichtung für ihre Belange am besten geeignet ist. Qualitätsaspekte sind daher der richtige Ansatz. Kritisch betrachte ich, wie neue Einrichtungen in dieses System integriert werden sollen. Neue, an aktuellste Therapiestandards angelehnte Reha-Einrichtungen sollen aufgrund der anfänglich fehlenden Bewertungen zunächst durchschnittlich eingestuft werden. Das ist eine Verzerrung der Gegebenheiten und Qualitätsstandards und erschwert die Etablierung neuer Einrichtungen. Schwierig sehe ich auch den zeitlichen Versatz der DRV-Bewertungen aufgrund der zweijährigen Erhebungspraxis. Für eine echte Diskriminierungsfreiheit in der Vergabe von Reha-Leistungen wäre schlussendlich ein konsequenter, trägerunabhängiger Bezug auf die Qualitätsdaten wünschenswert.

Jan Kiemele, Geschäftsführer (COO) Paracelsus Rehabilitationskliniken Deutschland

Der Qualität im Rahmen des Belegungsverfahrens eine entscheidende Rolle einzuräumen, begrüßen wir bei den Paracelsus-Kliniken sehr. Nach anfänglicher Euphorie über ein System mit mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Diskriminierungsfreiheit und Gleichbehandlung folgte jedoch schnell Ernüchterung: Die Daten, die zur Qualitätssicherung herangezogen werden, sind mindestens ein Jahr alt, teilweise sogar deutlich älter. Standardisierte Assessments der medizinischen Ergebnismessung erweitern bisher nicht die Qualitätsbestimmung, was neben den Daten der KTL-Erfüllung eine Objektivierung des Behandlungsverlaufs erlauben würde. Die Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts ist ein wichtiger Punkt. Leider machen jedoch die meisten Patienten trotz vieler Initiativen wie Internet und Beratungshotlines keinen Gebrauch davon. Aktuell werden diesen Patienten anhand von objektiven Kriterien wie Qualität und Wartezeit vier Rehabilitationskliniken empfohlen. Das ist gut. Unter diesen Kliniken finden sich allerdings immer zwei DRV-Kliniken. Wir gehen jedoch davon aus, dass der Algorithmus noch angepasst wird, und freuen uns auf den an die Grundsätze angepassten, aktualisierten Vorschlag.

Buket Koyutürk, Kaufmännische Leitung Kinderkliniken, Waldburg-Zeil Kliniken Fachkliniken Wangen

Das neue Beschaffungssystem kann eine große Chance sein und zur Gleichbehandlung aller Einrichtungen führen, weil die „Spielräume“ der Kostenträger für die Belegung einzelner Reha-Anbieter wegfallen. Allerdings sehen und spüren wir in der Kinderrehabilitation we-sentliche Risiken, zum Beispiel in der bislang ungeprüften und intransparenten Software als Steuerungsinstrument. Auch der Start im Juli ohne vorherige Testphase hat sich als äußerst problematisch entpuppt, da vor allem die Wartezeitberechnung nicht die Realität in den Kinder- und Jugendreha-Einrichtungen abbildet und der zugrunde liegende Algorithmus viele Besonderheiten der Kinder- und Jugendreha nicht berücksichtigt.
Die Zahl der Anträge und Bewilligungen in der Kinder- sowie Jugendreha steigt weiter an und hat mittlerweile das Niveau von 2019 (vor der Pandemie) erreicht beziehungsweise sogar überschritten. Allerdings herrscht in vielen Kliniken die Problematik, dass leerstehende Betten bei bundesweit hoher Nachfrage nicht belegt werden können. Dies zieht enorme finanzielle Folgeschäden nach sich.
Die Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Es fehlt jedoch an Wissen und Aufklärung innerhalb der Bevölkerung, und viele nehmen ihr Wunsch- und Wahlrecht noch nicht in Anspruch. Deshalb haben wir zusätzlich eine neue Stelle geschaffen, die Familien, zuweisende Kinder- und Jugendärzte, Psychologen sowie Psychotherapeuten beim Antragsverfahren direkt berät und unterstützt. Da sich Kinder und Jugendliche überwiegend auf Social-Media-Plattformen informieren, muss auch hier die entsprechende Ansprache erfolgen, um einen niederschwelligen Kontakt zu ermöglichen. Dass die Belegung mehr über die Qualität der Einrichtungen gesteuert wird, ist absolut der richtige Ansatz. Es stellt sich allerdings die Frage, nach welchen Kriterien bewertet wird. In der Kinder- und Jugendreha gibt es aktuell noch zu wenig Qualitätsmerkmale: Die Reha-Therapiestandards gelten nur für Teilbereiche, das Peer-Review-Verfahren entfällt komplett und die Patientenbefragung orientiert sich inhaltlich nicht an der Zielgruppe. Auch müssen die Datenerhebung sowie Veröffentlichung der Ergebnisse zeitnah erfolgen.

Marcus Sommer, CEO Vamed Gesundheit Holding Deutschland

Als einer der größten Anbieter von medizinischer Rehabilitation in Deutschland verfügen wir seit Jahren über Qualitätskennzahlen und stellen sie unseren Patienten transparent im Verbund mit Qualitätskliniken.de zur Verfügung. Nachhaltige Reha-Erfolge erfordern eine sorgfältige Auswahl von Reha-Einrichtungen, die Betroffenen auf sie abgestimmte Behandlungsschwerpunkte sowie Therapiemöglichkeiten mit einer hohen Qualität bieten. Das Beschaffungsverfahren der DRV ist ein Schritt in die richtige Richtung mit Verbesserungspotenzial. Im Vordergrund muss die Ergebnisqualität stehen, nicht die Strukturvorgaben. Patienten benötigen und verdienen eine bestmögliche Reha-Maßnahme und keine Zuweisung, die DRV-eigene Einrichtungen präferiert. Ohne Inanspruchnahme des Wunsch- und Wahlrechtes müssen Betroffenen die für sie optimalen Einrichtungen vorgeschlagen werden. Die DRV nimmt dabei eine Doppelrolle ein: ihre hoheitliche Aufgabe als Leistungsträger, die nicht mit den eigenen Interessen als Leistungserbringer verschwimmen darf. Medizinische Rehabilitation ist ein wichtiger Baustein der Gesundheitsversorgung, denn sie ermöglicht Teilhabe im Alltag und am Arbeitsleben – ganz im Sinne der Betroffenen und unserer Gesellschaft.